Physiknobelpreis 1937: Clinton Joseph Davisson — George Paget Thomson

Physiknobelpreis 1937: Clinton Joseph Davisson — George Paget Thomson
Physiknobelpreis 1937: Clinton Joseph Davisson — George Paget Thomson
 
Der amerikanische und der englische Physiker wurden für die experimentelle Entdeckung der Beugung von Elektronen durch Kristalle ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Clinton Joseph Davisson, * Bloomington (Illinois) 22. 10. 1881, ✝ Charlottesville (Virginia) 1. 2. 1958; zwischen 1905 und 1917 universitärer Physiklehrer, 1917 kriegsbedingter Eintritt in die Western Electric-Society (später Bell-Telefongesellschaft). Dort Ingenieur bis 1946. Dann Professor für Physik an der Universität von Virginia in Charlottesville. Wurde durch den Davisson-Germer-Versuch zur Elektronenbeugung bekannt.
 
Sir (seit 1943) George Paget Thomson, * Cambridge 3. 5. 1892, ✝ Cambridge 10. 9. 1975; Sohn von Sir Joseph John Thomson (Nobelpreis 1906), 1922-29 Professuren für Physik in Cambridge (1919-22), Aberdeen (1922-29), Cornell (1929-30), London (1930-52) und Cambridge (1952-62).
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Louis Victor Prince de Broglie (Nobelpreis 1929) forderte 1924 aus einem physikalischen Symmetrieempfinden heraus, dass auch Materieteilchen dualen Charakter haben, also gleichzeitig Partikel- und Wellennatur besitzen müssten. Zwei Jahre später fand Erwin Schrödinger (Nobelpreis 1933) die nach ihm benannte Wellenfunktion, der Max Born (Nobelpreis 1954) noch im selben Jahr ihre statistische Interpretation verlieh. Damit konnte die Widersprüchlichkeit von Wellen- und Partikelbild theoretisch aufgehoben werden. 1927 gelang es Davisson und Thomson unabhängig voneinander, die Wellennatur des Elektrons experimentell zu bestätigen. Dafür wurde ihnen gemeinsam der Nobelpreis zugesprochen.
 
Der kühnen Hypothese von de Broglie widerfuhr zunächst das gleiche Schicksal wie Einsteins Lichtquantenhypothese: Niemand wollte so recht an die Wellennatur von Materiestrahlen glauben. Doch wenn Elektronen Welleneigenschaften haben, müsste es möglich sein, mit Kathodenstrahlen, die aus Elektronen bestehen, ähnliche Versuche wie mit Röntgenstrahlen durchzuführen. Da Elektronen im Vergleich zu Röntgenstrahlen nur sehr wenig in Materie eindringen, war es allerdings sehr schwierig, solche Versuche durchzuführen.
 
Ab 1922 untersuchten Davisson und der amerikanische Physiker Charles Henry Kunsmann an den Bell-Laboratories die Reflexion von Kathodenstrahlen verschiedener Geschwindigkeit an einem Platinspiegel. Sie entdeckten für jede Geschwindigkeit einen zugehörigen Winkel, bei dem die Reflexion besonders stark war. Dieser Winkel entsprach offenbar dem Glanzwinkel der Röntgenstrahlen, also dem besonderen Winkel bei dem Röntgenstrahlen am Kristallgitter reflektiert werden. Davisson versuchte, die selektive Reflexion mit dem Schalenaufbau der Elektronenhülle des Platinatoms in Einklang zu bringen.
 
 Einkristalle weisen den Weg
 
Der deutsch-amerikanische Physiker Walter Maurice Elsasser vermutete 1925, dass die von Davisson beobachtete Reflexion als Elektronenbeugung zu deuten sein könnte. Davisson hat zusammen mit dem amerikanischen Physiker Lester Halbert Germer weiter an diesem Phänomen geforscht. Sie entdeckten, dass die Glanzwinkel an der reflektierenden Fläche von Einkristallen besonders deutlich hervortraten. Ein Einkristall ist aus einem sehr regelmäßigen Atomgitter aufgebaut. Wenn hier bestimmte Reflexionswinkel besonders deutlich bevorzugt wurden, musste die Periodizität des Einkristalls mit einer anderen Periodizität in Wechselwirkung getreten sein, ganz so wie es Max von Laue (Nobelpreis 1914) mit Röntgenstrahlen gefunden hatte. Das musste bedeuten, dass die Elektronen der Kathodenstrahlung genau wie die Röntgenstrahlen eine Periodizität besitzen. Davisson war dem Nachweis der Wellennatur des Elektrons damit nahe gekommen.
 
Einkristalle waren aber sehr schwierig herzustellen. Das entscheidende Experiment gelang Davisson und Germer nur durch einen Zufall. Sie hatten die Sekundäremission von Elektronen in Vakuumröhren untersucht. Als sie die Winkelverteilung der an einer gewöhnlichen polykristallinen Nickelelektrode gestreuten Elektronen messen wollten, wurde die Versuchsröhre beschädigt und die Nickelelektrode oxidierte. Im Ergebnis stellten sie eine auffällige Veränderung der Verteilungskurven der Elektronen fest. Das war darauf zurückzuführen, dass die Nickelelektrode durch die Oxidation eine Einkristallstruktur angenommen hatte. Nickel kristallisiert kubisch. Die beiden Forscher konnten zeigen, dass die Verteilung der Glanzwinkel genau der kubischen Symmetrie entsprach, die 1912 Max von Laue, Walther Friedrich und Paul Knipping an der ebenfalls kubisch kristallisierenden Zinkblende gezeigt hatten. Die Untersuchungen von Davisson und Germer waren jedoch viel aufwendiger als die der deutschen Physiker.
 
Während diese das Röntgenlicht auf eine fotografische Platte fallen ließen, wo das Muster der Interferenzflecken unmittelbar die Symmetrie des Kristalls verriet, fingen Davisson und Germer den reflektierten Kathodenstrahl mit einem so genannten Faradaykäfig auf. Die Stärke des entstehenden Stroms maßen sie an einem Galvanometer. Mit diesem Elektroneneinfangkäfig mussten sie also das ganze Gebiet vor der reflektierenden Kristallfläche mühsam abtasten. Die genaue Analyse des Vorgangs zeigte, dass Interferenz der Materiewellen auftrat. Damit war der Welle-Teilchen-Dualismus auch für die Elektronen bewiesen. Davisson und Germer führten die Untersuchungen gemeinsam durch. Daher wird bei diesem Experiment vom Davisson-Germer-Versuch gesprochen.
 
 Thomson forschte zielgerichteter
 
Das von George Thomson verwendete Verfahren war dagegen wesentlich eleganter. Während Davisson und Germer ihre Elektronen mit 50 bis 600 Volt beschleunigt hatten, verwendete Thomson Elektronen, die er mit Spannungen zwischen 10 000 und 80 000 Volt beschleunigt hatte. Dadurch drangen die Elektronen viel tiefer in die Materie ein.
 
Er durchstrahlte mit ihnen dünne Folien aus Zellulose, Gold, Platin und Aluminium und ließ die Elektronen senkrecht auf fotografische Platten fallen. Die verwendeten Folien waren zwischen 1/10 000 und 1/100 000 Millimeter dick und bestanden aus kleinen Kristallen unterschiedlicher Ausrichtung. Dieses Verfahren entspricht dem Kristallpulververfahren bei Röntgenstrahlen, das der niederländische Physiker Peter Joseph Wilhelm Debye (Chemienobelpreis 1936) 1915 zusammen mit dem Schweizer Physiker Paul Scherrer entwickelt hatte. Auf der Fotoplatte entstehen wegen der unterschiedlichen Ausrichtung der Kristallebenen konzentrische Ringe. Aus dem Durchmesser der Ringe konnte Thomson die Wellenlänge der Materiewelle bestimmen. Hinter der Fotoplatte hatte er zusätzlich einen Fluoreszenzschirm angebracht, auf dem er die Streubilder beobachten konnte. Er fand nicht nur eine gute Übereinstimmung seiner experimentellen Ergebnisse mit der Theorie von Louis de Broglie, sondern entdeckte auch, dass ein Magnetfeld den Strahl nach dem Durchgang durch die Fotoplatte seitlich verschiebt. Damit konnte er zeigen, dass es sich um Bündel von Elektronen handelt.
 
Das Nobelkomitee erkannte Davisson die Entdeckung der Wellennatur der Elektronen zu. Es ehrte Davisson und Thomson ausdrücklich auch für die neuen Analysemethoden, die ihre Arbeiten lieferten. Die Elektronenbeugung eignet sich hervorragend zur Oberflächenanalyse von Metallen und dünnen Schichten von Gasen und Pulvern.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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